Ein faszinierendes Festival in der Atacama-Wüste in Chile
Es ist schon später Nachmittag und in den langen Schatten wird es kühler. Vereinzelt quillt Rauch hoch und dämpft das Licht der Sonne. Tänzerinnen in bunten Kleidern und Männer in Masken ziehen vorbei. Tanzend bahnen sie sich Ihren Weg durch die von Besuchern gesäumten Gassen. Am Straßenrand reihen sich Markt- und Grillstände aneinander. Trompeten, Posaunen und Trommeln hallen laut zwischen den Mauern. Es ist ein fremder Ort, gefüllt mit Farben, Gerüchen und rhythmischen Melodien. Ich bin in La Tirana, in der Atacama-Wüste in Chile.
Als ich durch den Trubel gehe, treffe ich auf die verschiedenen Tanz-Gruppierungen mit ihren jeweiligen Blaskapellen. Jedes Ensemble erscheint mit ihren kennzeichnenden Trachten. Die Frauen mit roten Kleidern und goldenen Ohrringen seien die „gitanos“, so ein junges Mädchen, das bei einem Stand „Mote con huesillo“ verkauft, ein Getränk aus getrocknetem Pfirsich, Weizen, Wasser und dem Zuckersirup Chancaca. Besonders an warmen Tagen schmeckt es gut.
Doch am meisten Aufmerksamkeit gilt den „Diabladas“, den Teufelstänzern, die vor allem von Tänzern des peruanischen und bolivianischen Altiplano inspiriert wurden.
Tausende pilgern jährlich nach La Tirana
Der Ort beginnt sich mehr und mehr mit Pilgern zu füllen, hunderte und tausende treffen ein. Gleichzeitig formieren sich auch neue Tanzgruppen: „Antawaras“, „Kullakas“ und die berühmten „Caporales“, letztere sind Tänzer eines Afro-Anden Tanzes, dessen Wurzeln von der Zeit der Sklaverei stammen.
Beim westlichen Ortsrand sichte ich bei einer Tribüne eine aus Holz gefertigte Jesus-Skulptur. Über dieser steht breit in goldener Schrift und auf rotem Hintergrund „Yo soy el Camino“ geschrieben, das „Ich bin der Weg“ heißt. Ein Priester mit Sonnenbrille predigt von der Plattform zu den neu ankommenden Tänzerinnen und Tänzern. Danach wünscht er ein gutes Fest und bittet mit dem Tanzen anzufangen. Die Tänzer gehen achtungsvoll in die Knie, um ein Gebet zu sprechen. Die Musiker der Gruppierung beginnen nun zu spielen und rhythmisch bewegen sich alle in Richtung Ortskern, wo bereits andere Spieler mit ihren Tänzern harmonisch eine Einheit bilden.
La Tirana, ein Ort in der trockensten Wüste der Welt
La Tirana liegt im Norden von Chile, im Zentrum der trockensten Wüste der Welt: der Atacama. Unmittelbar westlich davon befindet sich die Küsten-Kordillere mit ihren sanften Bergen, die steil in den Pazifik abbrechen. Östlich von La Tirana sitzt erhaben und nie enden wollend der Altiplano mit einer Höhe von rund 4000 Metern. Von dessen Hochplateau ragen Vulkane bis zu 6000 Meter hoch dem Himmel empor.
Die Gegend um La Tirana ist mit alten, aufgelassen „Salpeterminen“ und mit Geoglyphen übersät. Die bis zu 5000 Steinbildnisse entstanden zwischen 800 bis 1500 nach Christi. Besonders der „Riese von Atacama“ sticht hervor, der sich nur ein paar Kilometer nördlich von La Tirana auf einem Hügel befindet. Mit 115 Metern Höhe soll es die weltweit größte prähistorische anthropomorphe Abbildung sein. Die Region um La Tirana ist das Gebiet der in Chile lebenden Aymara, ein indigenes Volk in Südamerika.
Das Volk der Aymara lebt in der Region um La Tirana
Meine Tante spricht noch Aymara, sagt ein Mädchen bei einem Sopaipilla-Stand. Ihre Mutter dehnt einen frisch zubereiteten Teig und gibt ihn in einem mit heissem Fett gefüllten Metall-Bottich. Es folgt ein lautes Zischen. Unter dem Trog qualmt Feuer in einer ehemaligen Waschtrommel. „Ist es Quinoa-Teig?“, fragt schnippisch eine Dame mit auffallend tiefen Falten im Gesicht und weißem Haar. Die Köchin runzelt die Stirn und antwortet: „Nein, aus gewöhnlichem Mehl“. „Quinoa-Mehl verwendet man heutzutage kaum“. „Quinoa ist mittlerweile viel zu teuer, denn es wird fast alles exportiert“, fährt sie fort. „Früher fütterten wir sogar unsere Tiere mit Quinoa.“, sagt die Köchin während sie nochmals einen flachen Teig in das Fett gibt.
„500 Pesos für Sopaipilla!“, ruft ihre Tochter in der Gasse und es entsteht eine Schlange von Leuten.
Tänzerinnen in grünen Kleidern ziehen vorbei, die Männer tragen lange Masken. Mit einer Trillerpfeife gibt ein Tänzer lautstark die Übergänge vor.
Mitgerissen kreuze ich den vollen Hauptplatz zur gelben Kirche. Es ist die „Iglesia de la Virgen del Carmen“, die an Festtagen zu Ehren der Jungfrau Maria Ziel von mehreren tausend Besuchern wird.
Und beim diesjährigen, mehrtägigen „Fest der Carmen“ wird ein Rekord gebrochen: Erstmals treffen über 200.000 Pilger in La Tirana ein. Eine kaum vorzustellende Größenordnung, angesichts der Tatsache, dass dieser kleine Wüstenort normalerweise von lediglich 600 Menschen bewohnt wird.
Die Decke der reizvollen Kirche ist in blau gehalten und mit goldenen Sternen gespickt. Ein junger Mann im Gebetshaus schildert mir den Grund für das bedeutende, katholische Fest in der Atacama-Wüste:
Diese religiöse Veranstaltung sei eines der traditionellsten Kulturereignisse in Chile, meint er. Durch die Tänze werde der immerwährende Kampf des Guten gegen das Böse aussagekräftig dargestellt. Die Wurzeln fänden sich sowohl im römisch-katholischen Glauben als auch in den Riten der Ureinwohner der Anden.
Alles dreht sich um die Legende der Inka-Prinzessin “Huillac Ñusca”
Eine Inka-Prinzessin Namens Huillac Ñusca kämpfte im Norden Chiles wider ihren Willen für den spanischen Eroberer „Diego de Almagro“, jedoch gelang ihr zusammen mit 100 Inka-Kriegern die Flucht.
Sie formierte ein Heer und rächte sich fortan gegen Spanier und andere Christen, was ihr den Beinamen Tyrannin bescherte: „La Tirana“.
Doch es sollte alles anders kommen, denn einige Jahre später nahm ihre Armee einen Christen gefangen in den sie sich verliebte, den Portugiesen „Don Vasco de Almeyda“. Sie befahl ihrem Heer Don Vasco vier Monate lang am Leben zu lassen. Während dieser Zeit vertiefte sich die Liebe zwischen den beiden, doch das Misstrauen ihrer Gefolgsleute wuchs.
Am Ende des vierten Monats fragte „La Tirana“ ihren Geliebten ob sie sich im Himmel für immer vereinigen würden, wenn auch sie Christin wäre. Don Vasco bejahte ihre Frage und er begann sie in einem Gemach zu taufen. Doch noch bevor er die Zeremonie beenden konnte, stürmten Inka-Krieger durch die Tür, die das Paar mit Pfeilen durchbohrten. „Beerdigt mich neben Don Vasco und errichtet über dem Grab ein Kreuz“, so ihre letzten Worte.
Zehn Jahre später fand der Pfarrer „Antonio Rondon“ ein einfaches Kreuz über einem Grab, wo „La Tirana“ begraben war. Er lies eine Kapelle errichten. Dies war der Beginn des Pilgerorts, denn bei dieser Kapelle begannen Indigene Jahr für Jahr mit ihren Tänzen.
Es verwundert daher nicht, dass sich beim großen Festival von „La Tirana“ Tänze, Musik und Weihgaben einer Wüsten-Region vermischen, deren Wurzeln sich sowohl in der indigenen Vergangenheit als auch im römisch-katholischen Glauben finden.
Es ist bereits Finster als ich mich durch die Menschenmenge quetsche, um den überfüllten Vorplatz zu verlassen.
„1000 Pesos für einen Spieß; 1000 Pesos!“, schreit ein Mann, der extra wegen der Festtage aus Bolivien angereist ist und nun Gegrilltes verkauft. Er sei aus La Paz, sagt er mir und komme jedes Jahr nach La Tirana.
Zum Schluss erstrahlt ein Lichtermeer über der singenden Menschenmenge, was bei mir folgenden Gedanken bejaht: Das große Festival von “La Tirana” zählt bestimmt zu den eindrücklichsten Festen der Welt.
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